Dein Zug!

„Mein Zug kommt“, verabschiede ich mich und beiße mir auf die Zunge, dass mir keine dümmere Ausrede eingefallen ist, um dem langweiligen Gespräch zu entkommen. „Welcher Zug?“, fragt mein Gegenüber, „glauben Sie an fahrende Züge? An den Storch glauben Sie wohl auch noch.“ Ich drehe mich um und gehe unentschuldigt. Da schwebt eine Dieselwolke vom Himmel herab und entbindet einen Regionalzug, der Folgendes zu mir spricht:

Du hast mich mächtig angezogen / an meiner Sphäre lang gesogen. / Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen / fasst Fahrgast dich! Wo bleibt der Freudenruf / zu dem die Deutsche Bahn dich einst erschuf? / Bist du es, der von meinem Rauch umwittert / in Altmetallwaggons das Land durchzittert, / ein wie Verkehrswege gekrümmter Wurm? / Auf Ausfallplänen, im Lügensturm / fahr ich hin und her, / schlaf ich ein und aus! / Im Durchsagen-Lügenmeer / und in deiner Phantasie zu Haus. / Ein wechselndes Fehlen / ein Zeit-und-Geld-Stehlen / so schlaf ich auf dem Webstuhl der Zeit / als Gottes mobile Unsichtbarkeit!

Aber ich seh schon: Klassik tröstet dich auch nicht. Dauerkarteninhaber, du dauerst mich. „Host dem Auto abgeschworn, hot sich’s fia di ausgefohrn.“ Ist noch vom Andi, dem alten Verkehrsmistbauer. Der neue kann gar kein Bayerisch, ich frag mich, wie der das CSU-Wahlprogramm fehlerfrei abschreiben konnte. Aber ich merk schon, Politik ist auch nicht so deins. Du reist gerne? Ja, das ist grad schlecht. Die Zeiten haben gewendet, weißt du: U-Turn gemacht und weg. Überall Vergangenheit. Aktuell ist Verweilen angesagt. Wie viele deutsche Bahnhöfe kennst du überhaupt? Behauptet, ich würde nirgends mehr fahren, und belegt seine Behauptung mit fünf bis sieben Heimatbahnhöfen. Da beleg ich jedes Gleis wahrscheinlicher als der die Tatsache meines Nichtvorhandenseins. Man kommt schließlich mit dem Fahrrad auch zum Bahnhof. Einfach mal Fresse halten und die Bahnhöfe des Heimatlands abradeln! Ich könnt grad neidisch werden, ich weiß gar nimmer, wie ihr ausschaut, ihr stillen Guten allüberall.

Trotzdem sage ich: Garage ist besser. In der Garage geht nichts kaputt. Also nicht, weil nichts mehr ganz wär. Sondern, weil da ganz andere Bedingungen herrschen. Garagen sind die Bodenhaltung der Fahrzeuge. Ein Fahrzeugwohllabel ist meines Wissings schon im parlamentarischen Verfahren. O Gott, das klingt so nach „Fahren“ …! Nee, langsam, die Mehrheit kommt zu Stande, read it from my screen. Immer bloß die Tierarten werden gerettet – wir Züge sterben auch aus! Der landesweite Museumsstatus muss jetzt kommen und dann darf kein Weiß- oder Schwarzfahrer mehr in uns fahren dürfen. Dann muss jeder stehend von der Bahnsteigkante Abstand halten müssen, und zwar von uns. Da kann es keine zwei Meinungen mehr geben und am besten gar keine mehr. Nur noch die Lautsprecherdurchsage auf dem Bahnsteig. Reicht doch. Was für die Deutsche Bahn gut ist, kann für Deutschland nicht schlecht sein. STOP STOP STOP = Deutschlands Galopp!

Ach komm, jetzt ist er mir eingeschlafen, der Fahrgast. Na den werd ich wecken. Der wird vor seinem fahrplanmäßig erwarteten Zug noch mal einschlafen! Ganz leise alles Liebe ins Ohr geflüstert:

Dein Zug!

Schachmatt!! – – – Ääh. – Wiebittewass??

Sorry. Ist mir noch nie passiert: In der eigenen Kolumne eingeschlafen! Peinlich.

Aber was hatte ich auch für einen süßen Traum! Einen Schach–Traum. Grad hatte ich einem rot-gelb-grünen König Matt IN EINEM ZUG angesagt …

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Der Wahlversager

Die Bundestagswahl ist geschafft. Alle Kanäle quellen von Siegerbildsequenzen über. Die Auswahl an Koalitionen ist Schwindel erregend im doppelten Wortsinn. Beim Zappen treffe ich den Wähler mutterseelenallein vor einer Kamera. Er soll zum Wahlausgang Stellung nehmen. Er nimmt sie:

Der heutige Wahlabend ist ein schwarzer Abend für mich. Also dunkel – nicht schwarz in dem Sinne. Meine Niederlage gilt es unumwunden einzugestehen. Das gebietet die Demut. Ich habe die Wahl verloren, gar keine Frage.

Sechzehn Jahre des Werbens um meine Einsicht waren umsonst. Ich habe die Bundesregierung nicht verstanden. Und das, obwohl Mutti extra langsam mit mir gesprochen und ihr Ablöser sie an Gedankentempo noch untertroffen hat. In der Folge bin ich hoffnungs- und führerlos dem Treiben unbekannter Mächte ausgeliefert. Es ist wie das Ende des Schwarzweiß-Fernsehens, an das ich mich noch traumatisch erinnere: Lauter bunte Farben brechen über das Land herein, paaren sich am hellen Tage miteinander. Als hätte es ein 1957 mit absoluter Mehrheit für die CDU/CSU nie gegeben.

Ich habe halt keine Ahnung von Politik. Und das hat die CDU/CSU unnachsichtig bestraft mit dem Rückzug von ihrer Macht über mich. Zwar redet sie mir noch gut zu, behauptet, am Brunnen vor dem Tore da stehe ein Lindner und träume für mich einen süßen Traum von Jamaica. Aber den verdiene ich nicht. Ich habe einen glasklaren Regierungsauftrag erteilt, und zwar an die Geldwäscherei Scholz & Warburg in Hamburg, Zweigstelle Berlin. Wer so was macht, hat das Vertrauen der CDU auf Jahrzehnte verspielt und keinerlei Anspruch mehr auf ein Bankkonto bei irgendeiner Deutschen Bank.

Auch das Lob dafür, dass ich die Linke halbiert habe, verdiene ich nicht. Denn meine linken Leihstimmen für SPD und Grüne haben der CDU erst den Todesstoß versetzt. Und das Allerperfideste an mir bei meiner Leihstimmenkampagne war: Die erwartbare Politik einer neuen Rotgrün geführten Bundesregierung (mit Hepatitis L) wird den Stimmenanteil der Linken bei der nächsten Bundestagswahl verfünffachen! Abgesehen davon, dass die Linke ab sofort vier Jahre lang die Oppositionsrolle alleine spielen darf, ohne von einer anderen Partei darin gestört zu werden.

Fazit: Ein Wähler, der sich derart gravierende Wahlschnitzer erlaubt, hat das Recht auf die politische Mitwirkung der Parteien an seinem Wahlzirkus verwirkt und wird zu vier Jahren politischer Untätigkeit verurteilt.

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An den Bundespräsidenten

Alfred Statler verabschiedet sich präsidentiell vom schlechten Gewissen. In unserer Familie ist es Tradition, die Weihnachtsansprachen anzuschauen. Normalerweise bleibt bei mir absolut nichts hängen. Bei meiner Mutter, die meist das gemeinsame Anschauen der Aufzeichnung durchsetzt, geht es wohl auch eher um das Zusammensein und die weihnachtliche Stimmung und nicht um…

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