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Der Salatgeflüchtete

Bei meinem Sohn liegen die Zahnhälse blank. Und bei mir die Nerven, weil: Der Zahnarzt traut sich nicht, meinem Sohn die Ursache für Zahnfleischschwund zu verraten. Mir glaubt der Sohn eh nichts. Also wer sagt es ihm? Ich habe Kolumbus gebeten. Der kennt sich aus. Und den Namen könnte mein Sohn schon mal gehört haben.

Junge, hör mir gut zu. Falls ich etwas undeutlich spreche – ich habe keinen einzelnen Zahn mehr. Womit wir schon beim Thema sind: Zahnfleischschwund. Ich hatte ihn. Und ich kenne seine Ursache: Vitaminmangel. Okay, wir haben noch „Salatmangel“ gesagt. Und kriegten davon die „Seemannskrankheit“. Ihr sagt Skorbut. Aber wir haben die Krankheit erfunden – vielleicht das Einzige, was wir gefunden haben. Du sagst Amerika? Du nennst uns Entdecker und Eroberer? Dann hör mir mal gut zu, du Antigrünschnabel.

In Wahrheit wollten wir damals drei Dinge: lange aufbleiben, kein Tageslicht und keinen Salat. Wir waren jung, du verstehst. Salat war der Hauptfeind, weil: Er schmeckt einfach nicht. Wir wollten dahin, wo Salat nicht wächst. Also fuhren wir zur See. Was allerdings fünftausend Jahre lang bedeutet hatte: Du fährst an den Küsten entlang. Irgendwann kommt der nächste Hafen, da legst du an – und hast wieder den Salat. Und noch was Viertes, was wir nicht mochten: Frauen. Gegen die hatten wir quasi die Ableitung einer Abneigung: Frauen sind gegen langes Aufbleiben. Frauen lassen Tageslicht in dein Zimmer. Und Frauen bereiten Salate zu. Häfen waren also gefährliche Orte für uns, dort lebten Frauen. Auf unseren Schiffen dagegen nur Jungs. Jahrhunderte lang hatten wir Seeleute den Ruf, die schlimmsten Pickupper und Flachleger zu sein – alles Quatsch. Die Frauen haben auf uns gewartet, weil sie uns die drei Sachen beibringen konnten. Den anderen Männern hatten sie es ja schon.

Irgendwann war es genug. Wir sind auf den Atlantik ausgewichen. Da gabs keine Häfen und somit endgültig keinen Salat mehr. Es war das Paradies für richtige Jungs. Du bist runter in deine Kajüte, der Rollladen vor dem Bullauge war immer unten (rund war der – hätte sich gar nicht aufwickeln lassen) und keiner ist gekommen, bis du alle Kills gemacht hattest, die du wolltest in jener Nacht oder an jenem Tag, den Unterschied gabs nicht mehr. Kartoffelchips waren noch nicht erfunden – Problem! Zu denen fehlte noch eine Zutat. Aber russische Eier geht auch („Ei des Kolumbus“) oder altes Brot, und wenn das alle ist: Zwieback. Wir wussten natürlich: Die Zutat muss schleunigst gefunden werden. Ohne Kartoffelchips geht jedes Paradies zum Teufel.

Leider kam dann der unglückselige Tag – und an ihm dieses Land in Sicht. Ich spreche seinen Namen nicht aus, mir ist schon schlecht, wenn ich an die Optik zurückdenke: Strand, Steine und oben drauf – ganz viel Salat. Die Völker, die wir kennenlernen mussten, waren aufs Engste mit dem Salat und jeglichem Grünzeug verbunden, was ehrlich gesagt so den Hass in uns erzeugt hat, dass wir sie später ausgerottet haben. Wenigstens eine braune Sache erhielten wir von ihnen: die Kartoffel. Trotzdem. Sieh dich doch mal um auf der Welt. Was hat unsere damalige Salatflucht im welthistorischen Sinne gebracht? Imperialismus, Globalisierung, Völkermord, Sklavenhandel, die Börse (unsere Expeditionen waren die ersten Risikoanlagen), Rassismus, Spanisch als zweite Fremdsprache (als ob Deutsch nicht schon fies genug wär) … sag mir, wann ich aufhören soll. Ach ja – und Zahnausfall. Mir hats den gebracht.

In fünfhundert Jahren, glaub mir, hast du Zeit für so manchen selbstkritischen Gedanken. Dein Vater hat schon den Richtigen beauftragt. Ich sage es dir im Guten, mein Junge: Iss Salat. Geh schlafen, wenn du müde bist. Und zieh, wenn du aufstehst, den Rollladen hoch. Und eine Frau ist überhaupt das Beste. Mach es nicht wie wir damals. Am Ende hast du keine Zähne mehr, aber irgendwas entdeckt und damit fünfhundert Jahre Elend über die Menschheit gebracht.

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Ein Kommentar:

  1. Da kann nur Ivana helfen, da wird er schön am Stuhl gefesselt, und seine Zähne sind da wie Neu
    https://stomatologijastefanovic.rs/en/

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